Mit Tieren leben und Gott erleben

Vortrag von Prof. Dr. Thomas Ruster (Institut für Katholische Theologie, Technische Universität Dortmund)


Der Dortmunder Theologe Prof. Thomas Ruster sprach in der Reihe „Mensch und Schöpfung“ über die Beziehung zwischen Menschen, Tieren und Gott. Vor dem eigentlichen Vortrag ließ Ruster das Gedicht „Sie ist mir eingegeben, die Libelle“ des evangelischen Theologen Christian Lehnert zitieren, um den Zusammenhang zwischen Gotteserkenntnis und Tier zu veranschaulichen.

Ein problematisches Verhältnis?

Die Beziehung der Menschen zu den Tieren ist tiefgreifend gestört. Auf der einen Seite werden Tiere vermenschlicht und verniedlicht wie etwa bei den inflationär auftretenden Stofftieren oder in Kinderbüchern, auf der anderen Seite leben wir mit dem millionenfachen Leid des Schlachtviehs und der Labortiere. Zugleich ist auch die Beziehung zu Gott gestört. Seit langem spricht man von der „Gotteskrise“, und zu Recht. Wo wird der lebendige Gott erfahren? Rusters These ist: Beides, das gestörte Verhältnis zu den Tieren und das gestörte Verhältnis zum lebendigen Gott, hängt miteinander zusammen. Es hat seinen gemeinsamen Grund darin, dass wir keine Ahnung haben von der Beziehung der Tiere zu Gott. Es gibt so gut wie nichts in der traditionellen westlichen Theologie, das auf diese Beziehung hinweist, außer wenigen Ausnahmen. Meistens wird argumentiert, dass sich der Mensch seine Umwelt untertan machen solle. Weiterhin ist die Bibel aus anthropozentrischer Sichtweise entstanden und die Tiere werden dabei in ein schwieriges Verhältnis zu den Menschen gestellt, beispielsweise die Einteilung in „reine“, „unreine“ und „abscheuliche“ Tiere (wobei bei der letzten Kategorie auch ein Übersetzungsfehler angenommen werden kann). Nur die reinen Tiere dürfen geschlachtet werden, doch wie die Kategorisierung entstand, ist aus heutiger Sicht teilweise nicht mehr nachvollziehbar.


Deshalb kann das gestörte Mensch-Tier-Verhältnis auch auf die Bibel, und nicht nur auf Descartes, zurückgeführt werden, der Tiere als Automaten bezeichnete. Auch in heutigen christlichen Gemeinden setzen sich Christinnen und Christen nur in geringem Maße für Tierrechte ein.


Es gibt in der Bibel und der Theologie jedoch zwar wenige, aber dennoch eindeutige Stimmen, die sich mit der Thematik befassen. Der Herausgeber der Werke von Thomas von Aquin, Joseph Bernhard, stellte in seinem Buch „Die unbeweinte Kreatur“ die Frage, wie das Leid der Tiere theologisch gedeutet wurde. Sein Ergebnis war: Die traditionelle Theologie sagt dazu nichts. Sie ist von einer tiefen Tier-Vergessenheit gekennzeichnet. Der Gastvortragende Thomas Ruster sammelte gemeinsam mit einem Forschungsteam in einem Projekt alle Stellen der Bibel und der christlichen Tradition, in der Tiere vorkommen. Dabei entstand ein neuer Ansatz, wie das Tier-Gott-Verhältnis in der Theologie neu bewertet werden kann (vgl. Simone Horstmann, Thomas Ruster und Gregor Taxacher: Alles, was atmet: Eine Theologie der Tiere, Regensburg 2018).

Gotteskrise

Das Bild Gottes der traditionellen westlichen Theologie, der „Theismus“, führt dazu, dass Menschen keine Beziehung mehr zu Gott haben. Der Glauben an den lebendigen Gott kommt in unserer Gesellschaft mehr und mehr abhanden. Daraus ergibt sich die Vermutung, dass eine lebendige Gottesbeziehung nicht gelingen kann, wenn eine Beziehung zu lebendigen Tieren fehlt. Als Beispiel eine solchen Beziehung nannte Ruster Jesus, der vierzig Tage in der Wüste blieb und der Versuchung widerstand: „Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm“ (Markus 1,12). Das will sagen: Wer mit Gott in Reinen ist, der steht auch in einem guten Verhältnis zu den Mitgeschöpfen, den Engeln und den Tieren.

Die Beziehung zwischen den Tieren und Gott

Historisch gesehen waren alle frühen Gottheiten der Menschheit einmal Tiere oder erschienen zumindest in tierischer Gestalt. Dies betraf insbesondere die frühen Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten. Tiere waren Gegenstand einer frühen religiösen bzw. göttlichen Verehrung. Sie standen für Lebenskraft, Potenz und Fruchtbarkeit. Weiterhin konnten sie als „Retter“ oder „Erlöser“ von dem Bösen angesehen werden, beispielsweise, indem ein gebändigtes Tier als Beute für ein wildes Tier geopfert wurde, das somit nicht mehr die menschliche Gruppe bedrohte. Doch irgendwann zwischen dem 2. und dem 1. vorchristlichen Jahrtausend lösten menschliche Gottheiten diejenigen in Tiergestalt ab. Die Verehrung von Tieren wurde als Götzendienst angesehen: „Wir haben die falschen Götter angebetet“ (beispielsweise die Stiergötzen oder das goldene Kalb).

Doch das Vertrauen von Gott ähnelt demjenigen des Tieres. Es handelt sich um eine vorbehaltlose und bedingungslose Annahme des Menschen, wie sie in unserem Gottesbegriff geprägt ist: Gott liebt den Menschen bedingungslos, so wie die uns vertrauten Tiere uns bedingungslos lieben. Weitere Eigenschaften der Tiere können in diesem Bereich verortet werden: Arglosigkeit, Vertrautheit und Angstfreiheit. Auf der anderen Seite liegt ihnen jedoch auch eine Andersheit inne, mit ihnen ist keine gleiche Kommunikation möglich und wir wissen letztlich nicht, wie Tiere eigentlich fühlen. Tier brauchen den Menschen nicht, es gab bereits lange vor den Menschen Tiere und letztlich haben sie sich aus ihnen heraus entwickelt. Die Begegnung mit Tieren ist die Begegnung mit etwas Lebendigen! Die Beziehung zu Tieren kann unerwartet sein, überraschend, unbestimmbar und unbeherrschbar. Dadurch kommt in der Fremdheit der Tiere ihre Transzendenz zum Vorschein. Tiere verkörpern eine „horizontale Transzendenz“ (Christian Lehnert). Sie helfen dazu, die Transzendenz Gottes neu zu erfahren und zugleich seine Lebendigkeit zu verstehen. Ein lebendiger Gott muss  auf Kontingenz, auf das Unbestimmbare und Unvorhersehbare reagieren können. Wenn er allwissend und allmächtig ist, ist er nicht lebendig. In der christlichen Trinitätslehre ist der Geist das lebendige und unbeherrschbare göttliche Element.

Marianna Musella liest „Sie ist mir eingegeben, die Libelle“ von Christian Lehnert

pilog

Zuletzt wies Ruster auf zwei Tier-Gott-Mensch-Begegnungen in der Bibel hin. In der Schöpfungsgeschichte (Gen 2,19 f) ist kein Tier Adam ebenbürtig. Aber das ist auch gut so, da nicht alle Geschöpfe gleich sein können. Das Wort „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“, ist dann so zu verstehen: Es ist nicht gut, dass der Mensch mit sich, mit seinesgleichen allein ist. Alteritätskompetenz ist das „Andere“ gelten zu lassen und zu akzeptieren. Die Sündenfallerzählung ist von daher zu verstehen: Die Menschen wollen Gut und Böse erkennen. Sie ordnen die Welt nach dem, was für sie Gut und Böse ist und wollen nicht akzeptieren, dass es ganz andere Zugängen zur Welt gibt – eben bei den Tieren.

Im Johannesevangelium ruft Johannes der Täufer, als er Jesus zum ersten Mal sieht, aus: „Seht das Lamm Gottes“ (Joh 1,29). Was bedeuten diese Worte? Das „Agnus Dei“, das in jeder Messe wiederholt wird, wird generell opfertheologisch gesehen. Dem widerspricht Ruster, da in diesem Evangelium ansonsten keine Opfertheorie vorhanden ist. Das Lamm, das im Schoße des Vaters liegt, ist vielmehr ein Verweis das Gleichnis, das der Prophet Nathan König David vortrug, als dieser Ehebruch mit der Batseba begangen hatte (2 Sam 12,1-3). Nathan erzählt von einem armen Mann, der ein einziges Lamm hatte, das er wie eine Tochter liebte und das in seinem Schoß lag.. So wie das geliebte Lamm im Schoße des Mannes liegt, so liegt auch das Jesus „am Herzen des Vaters“ (Joh 1,18). Von hier aus lässt sich eine Lamm-Christologie entwickeln, die vielleicht treffender ist als die traditionelle Sohnes-Christologie.

Prof. Dr. Thomas Ruster und Dr. Stephan Seiler

Aufzeichnung des Vortrages in der Katholischen Akademie

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