Vortrag : Prof. Dr. Thomas Ruster
Der Mensch zeigt sich widersprüchlich in Bezug auf die Tiere: auf der einen Seite nimmt er ihr zahlloses Sterben als Selbstverständlichkeit Kauf, andererseits ist ihm keine Mühe zu viel, einzelnen hilflosen Tieren unter großem Einsatz zu helfen. Über die große Masse der Tiere werden kaum Tränen vergossen, das Einzelschicksal ruft Empörung und Mitleid hervor, so beispielsweise jüngst der Kater Twiks in Russland, für dessen Tod sich sogar die russische Staatsbahn entschuldigt hat. Der Mensch zeigt in diesen Augenblicken echte Empathie. Warum nicht in Bezug auf die vielen anderen Tiere und Menschen?
Einsatz von Tieren im Krieg
Tiere wurden seit je her in allen Kriegen bewusst als Kriegswaffen oder für den Transport eingesetzt. Bekannt ist aus den punischen Kriegen beispielsweise, dass Hannibal mit Elefanten über die Alpen zog und sie zu artfremden Verhalten zwang. Welche Strapazen mussten diese Tiere aushalten? Kriegselefanten, die bis zur Erfindung der Feuerwaffen vor allem in Asien im Einsatz waren, wurden künstlich, teilweise unter Verwendung von Alkohol, wild gemacht und zu artuntypischen Verhalten gezwungen.
Das Pferd ist das Kriegstier schlechthin, sie zogen die Streitwägen oder ritten mit den Bogenschützen und späteren Rittern durch den Kanonenhagel. Sie starben zu Millionen auf den Schlachtfeldern. Selbst im zweiten Weltkrieg waren die Pferde keineswegs überflüssig, sie waren Zug- und Transportmittel. Ab gesehen davon verwüstete und zerstörte man ihren Lebensraum wie den vieler anderer Tiere in den Kriegsgebieten. Der Historiker Reinhard Koselleck unterteilte daher die Weltgeschichte in ein Vorpferde-, ein Pferde- und ein Nachpferdezeitalter.
Aber auch die Kleinstlebewesen, wie etwa der Kartoffelkäfer oder die Typhus-Fliege wurden bewusst als Waffen eingesetzt. „So klagte ein französischer Abgeordneter während des 1. Weltkriegs, Frankreich über drei Feinde: Les Boches, also die Deutschen, les rats et les mouches.“ Krankheitsüberträger waren außerdem die Ratten, die sich in großer Zahl auf den Schlachtfeldern und in den Schützengräben aufhielten und sich von den Leichen ernährten.
Tiere mussten und müssen immer noch für Tierversuche für militärische Forschungszwecke herhalten. So gab die Bundeswehr 1978 bis 1984 1,9 Milliarden DM für Versuche an Tieren für militärische und technische Waffentest aus. Aus anderen Ländern ist nur Unzureichendes bekannt, die Informationen unterliegen der Geheimhaltung.
Neben Katzen, Schafen und Brieftauben sind es sehr oft Hunde, die als treueste Freunde des Menschen die Soldaten trösten sollen, sie in die Gefangenschaft begleiten, aber auch mit selbstüberbrachten Sprengladungen zu Tode kommen. Ausgebildet und eingesetzt werden sie auch heute noch von der Bundeswehr, um nach Kampfmitteln, Sprengstoffen oder Rauschgift zu suchen, Menschen und Objekte zu schützen und um traumatisierte Soldatinnen und Soldaten zu unterstützen.
Die eigenen Interessen der Tiere werden nicht berücksichtigt, sie sind lediglich Mittel zum Zweck. „Der Krieg verschärft das System der Unfreiheit, in dem nicht nur Tiere zu Gefangenen werden“.
Tiere im Ukraine-Krieg
Nicht nur durch den aktiven Einsatz, sondern auch durch die Verwüstung ihrer Ökologie und ihrer Lebensräume drohen die Tiere im Krieg unterzugehen, so auch in den Kriegsgebieten der Ukraine. „Die Sprengung des Staudamms von Kachovka am 6. Juni 2023 führte dazu, dass Millionen Liter Wasser des Stausees sich mit Öl aus den Maschinenräumen des Damms, in denen die Explosion stattfand, mit Pestiziden und Düngemitteln der umliegenden landwirtschaftlichen Fläche und dem aus dem Boden ausgewaschenen Nitrat vermischten. Sie sind längst zu einer giftigen Brühe geworden, die ein Gebiet von der doppelten Größe Luxemburgs in Mitleidenschaft zieht und droht, auch in die Donau einzudringen. Der Fischbestand im Staudamm ist vollkommen vernichtet und die Folgen drohen sich zum Schwarzen Meer auszubreiten.“ Pflanzen und Tiere haben bereits große Schäden erlitten, viele endemische Arten sind bereits ausgestorben. Viele Haustiere werden aufgrund der Flucht und Vertreibung ihrer Menschen heimatlos und zu traumatisierten Streunern. Die Tiere in den Zoos und die wild in der Ukraine lebenden Pferde können nicht evakuiert werden.
Ausweitung der „Kampfzone“ – der größte Fehler der Menschheit
Allgegenwärtig ist auch der Krieg gegen die Tiere. Er wird nicht nur in den Schlachthäusern, sondern auf allen Ebenen geführt. Den Tieren wird ihr Lebensraum entzogen, sie werden für wirtschaftliche und wissenschaftliche Zwecke eingesetzt. Der Mensch drängt die Tiere immer mehr zurück, er flößt ihnen Angst und Schrecken ein, so dass sich die wenigen Wildtiere in den Wäldern soweit es geht, zurückziehen. Es herrscht für sie ein täglicher Kampf ums Überleben.
Dieses Phänomen beginnt mit der Sesshaftwerdung des Menschen in neolithischer Zeit. In dieser Zeit entsteht zum ersten Mal der Grundbesitz, zusammen damit das Patriarchat, die Herrschaft der männlichen Grundbesitzer über Frauen, Kinder, Sklaven und Vieh. Die Bibel spiegelt die im Neolithikum entstandene Herrschaftsstruktur an vielen Stellen wider, vor in den sog. Patriarchenerzählungen, die von Clanchefs wie Abraham, dem Kampf der Söhne um das Erstgeburtsrecht und der Konkurrenz zwischen den Ehefrauen um die Position ihrer Söhne erzählt. Das Herrschen, als gewaltsames Beherrschen über die Erde, die Tiere und Pflanzen erfährt eine Legitimation durch Gott. Der Mensch will sich damit aus dem System der Naturgesetze des Fressens und Gefressenwerdens herausheben.
Die Bibel und der berühmte Ausspruch des „Macht euch die Erde untertan“ müssen also im Kontext dieser Zeit verstanden und übersetzt werden: Einerseits ein Heraustreten des Menschen aus den Zwängen der Natur, andererseits ein (brutales) Gefügig-machen und Unterwerfen der Erde und ihrer Geschöpfe durch den Menschen im Auftrag und mit Billigung Gottes. Der Mensch entzog sich dem Zugriff der Raubtiere und nahm zugleich das Verhalten der Raubtiere gegenüber den Tieren ein. Und so geschah es, dass sich der Mensch ungeahnte Möglichkeiten und Freiheiten herausnehmen und sich selbst zum Herrscher aufschwingen konnte.
Diesen Schritt rückgängig zu machen und die Geschichte zurückdrehen zu wollen, ist unmöglich. Möglich wäre aber, dass die Menschheit oder menschliche Gesellschaft einen weiteren Schritt in eine neue Entwicklungsstufe in Angriff nimmt. Tatsächlich wurden bereits einige Kategorien des neolithischen Erbes umgestoßen, die als unumstößlich galten. Erkannt wurde, dass die Sklaverei nicht natürlich ist, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind und dass auch Kinder Rechte haben. Fehlt noch ein besserer, friedlicherer Umgang mit den Tieren oder vielleicht eine grundsätzliche Überwindung des Kriegszustands, in dem sich der Mensch befindet. Auch hier könnte der Krieg als Vater aller Dinge (Heraklit) der Ausgangsmoment sein, der zu einer Befreiung des Menschen aus seinem Konstrukt führt. Hierbei könnten uns gerade die Tiere helfen.
Was Tiere uns lehren
Den Tieren Raum zu lassen, die Hinwendung zu ihnen, das Wahrnehmen und das Mit-ihnen-Fühlen führt zur Überwindung der eigenen, menschlichen Perspektive und der Menschen gemachten Konstruktion der Welt und Gesellschaft. Die Tiere wecken paradoxerweise eine im Menschen tief verschüttete, aber vorhandene Menschlichkeit.
Dass die Menschen dazu fähig sind, zeigen die mannigfaltigen Geschichten und Berichte über den rührenden Einsatz für einzelne Tiere und ihre Schicksale. So berichtet beispielsweise der Film von Steve Spielberg aus dem Jahr 1984: Ein Pferd gerät zwischen die Fronten der deutschen und englischen Truppen und verfängt sich schließlich rettungslos im Stacheldraht. Ein englischer und ein deutscher Soldat, die den Mut haben, ihre Schützengräben zu verlassen, befreien das Tier gemeinsam aus seiner hilflosen Lage. Dies ist, nicht nur zwischen Tier und Mensch, sondern auch zwischen Mensch und Mensch ein „Moment der Verständigung und der Entfeindung mitten im Krieg“.
Prof. Dr. Thomas Ruster, Dr. Marianna Musella
Aufzeichnung des Vortrages in der Katholischen Akademie