Geist und Natur: Biblische Schöpfungstheologie und Gottes Wahrnehmbarkeit in der Natur

Vortrag von Prof. Dr. Jörg Lauster, Evangelische Dogmatik, Religionsphilosophie und Ökumene, München


Der Münchner Theologe Prof. Dr. Jörg Lauster sprach im Rahmen der Vortragsreihe „Mensch und Schöpfung“ über Gottes Wahrnehmbarkeit in der Natur. Ist die Entwicklung unseres Universums eine sinnlose Schönheit, oder steckt dahinter ein göttlicher Plan, der unser menschliches Wahrnehmen übersteigt?

Skepsis – Die Stärke des Materialismus

Der Geist Gottes in der Natur stößt zunächst auf Skepsis. Gegen eine Wahrnehmbarkeit Gottes in der Natur spricht ihre Komplexität und Widersprüchlichkeit. Natur ist nicht nur romantisch und schön, sondern ebenso ungeordnet und böse; in ihr steckt eine Ambivalenz. Seit der britische Naturforscher Charles Darwin in der Mitte des 19. Jahrhunderts seine Evolutionstheorie entwickelte, stößt die Annahme, die Natur habe sich nach einem göttlichen Plan entwickelt, in den Naturwissenschaften auf Ablehnung. Darwin selbst, der Theologie studiert hatte und ursprünglich Landpfarrer in England werden wollte, hatte ein großes Interesse an Phänomenen der Natur und ging zunächst auch von einem göttlichen Grund aus. In seinem späteren Leben, insbesondere nach seiner bahnbrechenden Veröffentlichung über den Ursprung der Arten (englische Originalfassung „On the origin of species by means of natural selection, or the preservation of favoured races in the struggle of life“ London 1859) hatte die Theorie eines Bauplans in der Natur für ihn seine Kraft verloren. Im Vordergrund stand die natürliche Selektion. Dadurch war Darwin nicht mehr in der Lage, eine göttliche Fügung in der Evolution zu erkennen.

Die Lehre des Naturalismus bzw. Materialismus geht noch einen Schritt weiter und sieht in der Schöpfung keinen tieferen Sinn oder gar ein göttliches Geheimnis. Der Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg meinte, das Leben an sich habe einen Hauch tragischer Würde. Trotz seiner zugegebener Schönheit sei das Universum an sich sinnlos: „Je begreiflicher uns das Universum wird, desto sinnloser erscheint es uns.“

Die Stimme der Natur

Welche Argumente können aus christlicher Sicht dagegengehalten werden? Das Geheimnis einer tieferen Ordnung wird von vielen Menschen wahrgenommen. Sie fragen sich, was die Natur sagen möchte.

Zunächst beschäftigt sich eine Reihe kultureller Schöpfungen mit diesem Phänomen. Um nur eine Auswahl zu nennen, reicht das Spektrum von Dichtung und Literatur der Romantik über Adalbert Stifter bis zum sogenannten Natural Writing der Gegenwart. Die Werke des Naturmalers Caspar David Friedrich sprechen auch im 21. Jahrhundert sehr viele Menschen an.

Seit den 1960er Jahren tritt die ökologische Bewegung in Erscheinung und warnt vor den Folgen der industriellen Umweltzerstörung. Rachel Carsons Klassiker „A silent spring“ von 1962 beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Pestiziden auf unsere Ökosysteme.

Der christliche Schöpfungsglaube wiederum ist offen für Ambivalenz und Vielfalt der Natur, wie sie beispielsweise Alexander von Humboldt beschrieb. In einer Nacht im Dschungel wechseln sich das friedliche Schnarchen der Süßwasserdelfine und angsterfülltes Geschrei von Tieren auf der Flucht vor dem Jaguar ab; die Polyphonie des Urwalds kann ein Konzert oder eine Schlachtbank sein.

„Stimme der Natur“ meint: Wir nehmen in anderen Lebewesen etwas in einem appellativen Sinn wahr. Die Welt an sich und die Natur im Speziellen haben demnach etwas erhaltungswertes. Es gibt eine kosmische Empathie.
Als Beispiele aus der Philosophie können die Publikationen von Thomas Nagel und Wolfgang Welsch genannt werden. Thomas Nagel schreibt in „Welt und Kosmos“, dass jedes Lebewesen im Kosmos Teil eines Erwachungsprozesses sei und uns ein Geist im Universum anspreche. Wolfgang Welsch schreibt in „Reflexion der Natur“: „In unseren Gedanken erkennt die Welt sich selbst. Der göttliche Geist wirkt in der Natur und wird uns zum Bewusstsein.“

Der französische Theologe, Paläontologe und Anthropologe Pierre Teilhard de Chardin entwarf eine theologische Erklärung des menschlichen Geistwerdens. In „Der Mensch im Kosmos“ (frz. Originalausgabe „Phénomène Humain“ 1955) entwickelt er die Theorie, dass die Evolution auf ein Ziel hinstrebe. Aus dem Molekül werde ein Atom, aus dem Atom eine Zelle etc. bis hin zur Menschwerdung und vielleicht weiter? Die Gedanken wurden ebenfalls von dem Theologen Karl Rahner und dem Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“ (2015) aufgenommen und auf evangelischer Seite von dem Münchner Theologen Wolfhart Pannenberg.

Laut Jörg Lauster drücken Menschen ihre Welt- und Naturerfahrung in religiösen Bildern und Symbolen aus. Diese geben vielen Menschen Halt. Menschen erfahren sich als Teil dieser Welt und zu einem großen Ganzen zugehörig. Der göttliche Geist ist in der Natur gegenwärtig und ein Teil dieses Prozesses heißt im christlichen Sinn „Erlösung“. 

Dr. Stephan Seiler

Aufzeichnung des Vortrages in der Katholischen Akademie

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