Vortrag von Prof. Dr. Peter Poschen, Honorarprofessor für sozio-ökonomische Nachhaltigkeit an der Universität Freiburg
Podiumsdiskussion:
Felicitas Rechtenwald, Referentin für Artenschutz beim NABU-Baden-Württemberg
Anette Wohlfahrt, Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbands Baden-Württemberg
Prof. Dr. em Albert Reif, Vegetationsökologe an der Universität Freiburg
Mit einem kontrovers diskutiertem Thema befassten sich der Vortrag von Prof. Dr. Peter Poschen und eine anschließende Podiumsdiskussion mit sachverständigen Gästen: Der Rückkehr des Wolfes in Deutschland und den damit verbundenen Auswirkungen auf Naturschutz und Landwirtschaft.
Der Referent Peter Poschen ist Honorarprofessor für sozio-ökonomische Nachhaltigkeit in der Umweltfakultät der Universität Freiburg. Nach zahlreichen internationalen Stationen war er Leiter des Enterprise Departments des ILO (International Labour Organization) in Genf und Direktor des International Labor Office in Brasilia. An der Podiumsdiskussion nahmen Felicitas Rechtenwald, Referentin für Artenschutz beim NABU-Baden-Württemberg, Anette Wohlfahrt, Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbands Baden-Württemberg und Prof. Dr. em Albert Reif, Vegetationsökologe an der Universität Freiburg, teil.
Auf die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland, und im Speziellen nach Baden-Württemberg, wird sehr kontrovers reagiert. Zu der Frage, ob es sich dabei um einen Gewinn für den Naturschutz oder ein Desaster für die Landwirtschaft handelt, fehlt in vielerlei Hinsicht ein objektiver Austausch, der nach konstruktiven Lösungen sucht. Um diesem Zweck näher zu kommen, wurden für die Podiumsdiskussion zwei Vertreterinnen unterschiedlicher Interessensverbände eingeladen sowie mit Albert Reif ein Experte für die Rahmenbedingungen im Lebensraum der Wölfe.
Die Rückkehr des Wolfes
Poschen gab eine Übersicht über die Fakten der Thematik und gliederte seinen Einführungsvortrag in fünf Teilbereiche: Den Wolfsbestand, deren Lebensform, ihre Ernährung, die von ihnen verursachten Schäden und die Weidewirtschaft mit einem Schwerpunkt auf dem Schwarzwald.
Seit gut zwanzig Jahren ist der Wolf zurück in Deutschland. Ausgehend von Orten in Sachsen breitete er sich insbesondere in Richtung Nordwesten in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Niedersachen aus. Wölfe sind sehr anpassungsfähige und intelligente Tiere, sie legen weite Strecken zurück und haben eine hohe Vermehrungsrate. Trotz der weiten Wege findet ihr Leben weitgehend in territorial begrenzten Gebieten statt, die Wolfsrudel gegen Artgenossen verteidigen. In ihrer Nahrungsaufnahme sind sie sehr flexibel. Der Großteil ihrer Beute in Mitteleuropa sind Wildtiere wie Rehe und Wildschweine; Nutztiere hingegen umfassen nur 1,6 % der gesamten Nahrungsaufnahme. In Deutschland gab es 2019 knapp 900 Übergriffe auf Nutztiere mit 3.000 erbeuteten Tieren, davon 88 % Schafe und Ziegen. Bei 80 % aller Risse von Nutztieren handelt es sich um ungeschützte Tiere. Die Managementstrategien der Bundesländer beruhen auf Beobachtung und Dokumentation des Wolfsbestandes, Information und Beratung von Tierhaltern sowie Schutz und Entschädigung für Risse. Der Schutz wird durch Zäune und Herdehütehunde gegeben. An Aufwendungen gegen Wolfsübergriffe wurden 2020 in Deutschland 9,5 Millionen Euro an Präventionsmaßnahmen ausgegeben und 0,8 Millionen Euro an Entschädigung gezahlt.
Die Landwirtschaft hingegen erlebte seit den 1990er Jahren einen Rückgang um ca. 50 % der Betriebe. Davon wiederum bewirtschaften viele Viehzüchter ihre Bestände im Nebenerwerb. Berufsschäfer haben eine enorm hohe Arbeitsbelastung mit bis zu weit über 60 Stunden pro Woche und dennoch mit einem Stundenlohn von teilweise nur 6,50 Euro ein Einkommen weit unter dem Durchschnitt (Zahlen 2015). Daher sind Übergriffe von Wölfen oft nur noch der berühmte Tropfen, der das Fass einer allgemein schlechten Situation zum überlaufen bringt.
„Der Wolf gehört zu Baden-Württemberg wie Spätzle und Maultaschen“
Felicitas Rechtenwald, Referentin für Artenschutz beim Naturschutzbund Baden-Württemberg, sprach als Vertreterin der Naturschutzverbände. Der NABU-Baden-Württemberg setzt sich für die Rückkehr des Wolfes ein, sieht aber auch große Vorbehalte in der Bevölkerung. Dennoch möchte Rechtenwald auf Fakten setzen und auf frühzeitigen, geeigneten Herdenschutz. Die Anzahl der Wölfe in Baden-Württemberg ist im Vergleich zu Ost- und Norddeutschland noch sehr gering. Momentan gehen die Tierzählungen von drei Wolfsrüden im Schwarzwald aus. Ein im Odenwald bekannter Wolf wurde schon länger nicht mehr gesichtet (Stand Dezember 2021). Durch Übergriffe kamen insgesamt 133 Nutztiere zu Tode. Die Verluste werden ebenso wie Präventionsmaßnahmen finanziell erstattet. Die Aufgabe des NABU sieht Rechtenwald darin, als Wolfsbotschafter Fachwissen weiterzugeben. Zur Aufklärung über den Naturschutz gehöre demnach auch die Frage, ob einem eigentlich einheimischen Tier die Daseinsberechtigung aberkannt wird. Der Wolf gehöre zu Baden-Württemberg wie „Spätzle und Maultaschen“.
Die Sorgen der Schäfer
Anette Wohlfahrt, Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbands Baden-Württemberg, schilderte die Sorgen der Schäfer. Diese liegen weniger in der jetzigen Situation, sondern insbesondere in der Annahme, dass sich die anwesenden Wölfe in den kommenden Jahren stark vermehren und dadurch auch die Übergriffe auf Nutztiere zunehmen. Wölfe könnten Schutzzäune umgehen und Schäfer müssten oft nur tatenlos zusehen, wie eines ihrer Tiere gerissen würde.
Die Viehwirtschaft spielt eine große Rolle in der Landschaftsgestaltung, weil Schafe die Landschaft offenhalten, worauf zahlreiche seltene und geschützte Tier- und Pflanzenarten angewiesen sind. Das Einkommen der Schafhalter besteht zu 60% aus Zahlungen für Naturschutz, während Wolle unverkäuflich ist und der Fleischpreis unter großen Druck durch billige Importe steht. Wenn in Zukunft immer mehr Schäfer aus wirtschaftlichen Gründen ihren Beruf aufgeben müssten, hätte dies auch Auswirkungen auf die Landschaftsentwicklung. Zwar habe Baden-Württemberg ein relativ gutes Entschädigungssystem, es müsse aber noch mehr aktives Wolfsmanagement betrieben werden. Laut Wohlfahrt müsse die Ausbreitung gestoppt und übergriffige Wölfe geschossen werden.
Der Naturraum
Prof. Dr. em Albert Reif, Vegetationsökologe an der Universität Freiburg, bezeichnet sich selbst als „wolfsskeptischen Naturschützer“. Wölfe sind in der EU geschützt und in Hinsicht der Naturräume auch ein Regulator bei Wildtieren. Die problematische Lage der Landwirte werde jedoch durch ihn verschärft und nicht alle Landschaftsbilder taugten für die Nutzung von wolfssicheren Weidezäunen. Ein weiteres Problem sieht Reif in Kampagnen pro Wolf, da diese eher polarisierten, als zu einem Verständnis für die Landwirtschaft beizutragen. Seiner Meinung nach haben die momentanen Herdenschutzmaßnahmen in Baden-Württemberg eine „vorbildliche Regelung“ mit guter Finanzierung. Die beste Lösung bestehe darin, übergriffige Wölfe durch Berufsjäger zu entnehmen, aber keine reguläre Jagd zuzulassen. Die Population müsse erhalten bleiben aber bei unter 200 Tieren gedeckelt werden. Weiterhin sagte Reif, dass die neue EU-Landwirtschaftsförderung den Wert der Weidewirtschaft erkannt habe. Landschaftspflegeleistungen müssten erhöht werden.
Resümee
Nach einer Fragerunde des Publikums zog Poschen ein kurzes Resümee des Abends. Naturschutz und Landschaftserhaltung sollten nicht gegeneinander arbeiten, sondern sie bräuchten einander. Der Wolf sei nicht die eigentliche Ursache für viele Probleme in der Tierhaltung, sondern der hohe wirtschaftliche Druck durch eine verfehlte Landwirtschaftspolitik. Flächensubventionen und Intensivierung der Landwirtschaft setzt. Wenn Deutschland den Spielraum zur Honorierung von Umweltleistungen durch EU Agarsubventionen ausschöpfen würde, stünden jedes Jahr €480 Millionen zusätzlich zur Verfügung. Die Bevölkerung ist mit großen Mehrheiten für Naturschutz, Erhaltung kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe und die Honorierung von Umweltleistungen. Gemeinsame Vorschläge sollten an die neue Bundesregierung herangetragen werden, wie Weidetierhaltung langfristig ihre Rolle im Naturschutz spielen kann. Der Schäferberuf muss wieder attraktiv werden und entsprechend gefördert werden.
Dr. Stephan Seiler / Prof. Dr. Peter Poschen
Aufzeichnung des Vortrages in der Katholischen Akademie
Ja, der Wolf ist zurück
Mitten in Europa, wo er über Jahrtausende zuhause war.
Warum sollte ihm das Bleiberecht abgesprochen werden?
Ja, der Wolf ist zurück.
Er wird beobachtet, besendert und verfolgt,
gezählt und genetisch identifiziert.
Sollten wir entscheiden dürfen,
wieviele Wölfe maximal geduldet werden?
Ja, der Wolf ist zurück.
Und mit ihm all die Emotionen und Mythen,
die sich um ihn ranken.
Die einen freuen sich, finden ihn cool,
Die anderen ängstigen sich,
und wieder andere sehen in ihm eine Bestie.
Ist der Mensch viel besser?
Ja, der Wolf ist zurück.
Nein, nicht der Wolf, sondern die Wölfe,
Sie sind da, ob wir es wollen oder nicht.
Die Natur fragt uns Menschen nicht, was wir wollen.
Auch Rehe müssen damit klarkommen.
Als vernunftbegabte Menschen können wir wieder lernen,
mit der Natur zu leben, statt gegen sie zu arbeiten.
Ja, die Wölfe sind zurück.
Und mit ihnen die Frage,
ob wir uns weiterhin als Alleinherrscher begreifen,
als Richter über Leben und Tod,
oder als Geschöpf Gottes,
mit der Ehrfurcht vor den anderen Geschöpfen,
und mit der Intelligenz ausgestattet,
ein neues Miteinander zu entwickeln.
Matthias Hollerbach, 01.12.2021
angeregt durch die Podiumsdiskussion „Der Wolf ist zurück – Gewinn oder Desaster für
Naturschutz und Landwirtschaft?“, veranstaltet von der Katholischen Akademie Freiburg
in Kooperation mit der Musella-Stiftung für eine sozial-ökologische Zukunft