Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir

Vortrag von Dr. Rainer Hagencord (Institut für Theologische Zoologie, Münster)


Dr. Rainer Hagencord, Leiter des Instituts für Theologische Zoologie (ITZ) in Münster, sprach im Rahmen der Vortragsreihe „Mensch und Schöpfung“ über das Verhältnis der Theologie zu unseren Mitgeschöpfen, insbesondere den Tieren. Das Institut und die Musella-Stiftung verbindet ein gemeinsamer Ansatz zum Tierschutz und zu theologischen Fragen. Beide möchten ihre 2019 begonnene Kooperation vertiefen und gemeinsame Projekte im Bereich der Kinder- und Jugendbildung initiieren.

Das Institut für Theologische Zoologie

Das 2009 von Dr. Rainer Hagencord und Dr. Anton Rotzetter gegründete Institut sieht sich in erster Linie als interdisziplinäres und interreligiöses Projekt analog zur theologischen Anthropologie. Es formuliert eine politisch relevante Schöpfungstheologie, die zum Bewusstseinswandel angesichts von Klimawandel und Umweltzerstörung beitragen soll. Grundlage ist eine Theologie, die das Evolutionsparadigma als „Segen für die Theologie“ auffasst und allen fundamentalistischen und kreationistischen Auffassungen eine Absage erteilt. Neben wissenschaftlicher theologischer Forschung hält das Institut therapeutische und pädagogische Lehrveranstaltungen mit Eseln und Bienen ab und betreibt darüber hinaus konkreten Tierschutz (Quelle: theologische-zoologie.de).

Das Logo des Instituts für Theologische Zoologie zeigt den heiligen Hieronymus mit dem Löwen. Der Legende nach trifft der Kirchenvater in der Wüste auf einen Löwen, mit dem er sich anfreundet. Auf dem mittelalterlichen Kupferstich sind Mensch und Tier gleichgestellt.

Gott, Mensch, Ethik

Rainer Hagencord stellte als Leitfaden des Vortrags drei grundlegende theologische Fragen zu Gott, Mensch und Ethik an die Anwesenden: An welchen Gott glauben wir, wie verstehen wir uns als Menschen und wie wollen wir als Menschen leben?
In der herkömmlichen Theologie sind Tiere kein Forschungsgegenstand; sie befasst sich weitestgehend mit dem Menschen. Diese haben jedoch eine Verantwortung für ihre Mitgeschöpfe: bei einer ganzheitlich aufgefassten „Bewahrung der Schöpfung“ dürfen die Tiere, neben dem Umweltschutz im Allgemeinen, nicht vergessen werden. Diesen Ansatz nimmt die von Papst Franziskus 2015 veröffentlichte Enzyklika Laudato si auf und gibt der Arbeit des Instituts dadurch großen Auftrieb.
Durch ein Zitat des Schriftstellers Elias Canetti stellte Hagencord die Problematik des Umgangs mit den Tieren in den Mittepunkt: „Wir sind als Menschen mit den Tieren verwandt, aber je mehr wir über die Tiere wissen, desto mehr lassen wir sie verschwinden.“ Dieser Umstand macht sich insbesondere im Verschwindenlassen durch Artensterben und dem Verstecken des Tierleids erkennbar. Tiere werden nachts zu den Schlachthöfen gefahren und hinter verschlossenen Türen getötet, damit die Gesellschaft möglichst nichts davon mitbekommt.


Ein genauer Blick in die Bibel des Alten und Neuen Testaments weckt jedoch die Aufmerksamkeit für die Tiere und zeigt, dass sie keineswegs nur als dem Menschen untertan angesehen werden, wie uns die gängige Sichtweise der Genesis glaubhaft machen möchte. Denn dort werden die Tiere des Landes gemeinsam mit dem Menschen am 6. Tag erschaffen. Auch heißt dort nicht, dass sich der Mensch die Erde untertan, sondern dass er sich der Erde untertan machen soll. Nach dem Sündenfall werden außer der Schlange die restlichen Tiere auch nicht aus dem Paradies vertrieben. Der große mittelalterliche Gelehrte Thomas von Aquin sprach den Tieren dadurch eine Gottunmittelbarkeit zu. Für Eckhard Tolle sind die Tiere: „Wächer des Seins – guardians of being“!

Die Geschichte der „Arche Noah“ könnte auch eine Geschichte unserer Zeit des 21. Jahrhunderts sein. Damals wie heute schaffen es die Menschen nicht, Frieden zu schaffen. Die Hoffnungsgestalt Noah soll bei Aufkommen der Sintflut von jeder Tierart ein Pärchen zusammenstellen, d.h. dass alle ihren Sinn haben und nicht vom Menschen selektiert werden sollen. Nach der Flut sendet Gott eine Taube und einen Regenbogen als Zeichen des Friedens und eines neuen Bundes aller Geschöpfe. Dies bedeutet, dass die Tiere nicht nur für uns Menschen da sind, sondern ein eigenes Leben führen und ebenfalls einen Bund zu Gott haben. Weitere Beispiele aus den Schriften sind die Friedensvision des Jesaja, der am Ende der Zeiten keine Gewalt mehr zwischen den Menschen und zu den Tieren mehr sieht sowie die in der bekannten Weihnachtsgeschichte vertretenen Schafe mit ihren Hirten. 
Erst durch die Krisen der Neuzeit und ihrer Philosophie änderte sich die Sichtweise auf die Tiere. Laut Descartes seien sie „seelenlose Automaten“. Der Mensch hingegen sei ein Abbild Gottes, das sich die Erde untertan machen solle. Leider geht unsere heutige Sichtweise auf Tiere noch allzu oft darauf zurück.


Einen anderen Ansatz, den Papst Franziskus in Laudato si aufgriff, lieferte hingegen Nikolaus von Kues: „Gott ist in allem ausgefaltet“.

Dr. Stephan Seiler

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