Rezension Vom fordernden und beglückenden Leben mit Tieren

Wenn man ein alterndes Schaf, ein bewusstloser Marder oder auch eine verletzte Weinbergschnecke wäre, würde man sich wünschen auf Hilal Sezgin zu treffen. Die Journalistin und Autorin ist aus der Metropole Frankfurt am Main aufs Land in die Lüneburger Heide gezogen und betreibt dort seit mehr als 15 Jahren ein „Schafsaltersheim“. Von ihrem Alltag mit den Schafen, als auch mit vielen anderen kleinen und großen, beflügelten und wirbellosen Mitgeschöpfen schreibt die Autorin mit viel Sachkenntnis, aber auch selbstkritisch und vor allem mit viel Humor. Dabei wehrt sie sich gegen eine falsche Romantisierung sowohl des Landlebens als auch des Tierschutzes. Im „Miterleben“ ihres Alltags wird deutlich: So ein „Lebenshof“, wie Hilal Sezgin ihr neues Domizil für junge, aber vor allem alte Tiere bezeichnet, fordert eine gute körperliche Konstitution, Ausdauer und Geduld, wenn es beispielsweise um das Fiebermessen bei kranken Schafen geht. Es fordert die Bereitschaft sich von dem Wunsch nach Minimalismus in den eigenen vier Wänden zu verabschieden, da meterweise Verbandszeug, kilometerlange Zaunlitze und allerlei Medikamente und Salben für die Tiere griffbereit aufbewahrt werden wollen. Vor allem aber fordert es feinsinnige Wahrnehmung für kleinste Verhaltensänderungen der Tiere und eine große Liebe für dieselben. Anders wäre ein Leben, das sich ganz dem Wohl dieser alten und teilweise kranken Tiere widmet, schwer möglich. Aber Hilal Sezgin beschreibt liebevoll und detailreich, was den Charakter eines jeden Tieres so besonders macht bzw. gemacht hat, sodass die Freundschaften, die hier zwischen Tier und Mensch entstanden sind, sichtbar werden. Schon anhand dieser Erzählungen, die mitlachen und mittrauern lassen, können Leserinnen und Leser ein tieferes Verständnis davon bekommen, dass alle Tiere fühlende, schmerzempfindende, soziale Wesen sind und keine „Nutztiere“. Das Buch regt dazu an, das eigene Verhalten, die eigenen Selbstverständlichkeiten im Umgang mit Tieren zu hinterfragen, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben. Hilal Szegin reichert ihre Ausführungen mit tierethischen und philosophischen Gedanken an, sodass Leserinnen und Leser zu einer eigenen und ggf. neuen Standortbestimmung im Umgang mit anderen Lebewesen befähigt werden.

Hilal Szegin, ist Autorin und Journalistin, aber auch Tierrechtlerin und Philosophin. Sie hat mit dieser neuen Veröffentlichung nicht nur ein Buch über den Alltag mit Tieren vorgelegt, sondern ein Dokument, das im besten Fall einen Bewusstseinswandel in Gang setzen kann, durch den immer mehr Menschen ihr Verhalten und ihre Einstellung gegenüber den Mitgeschöpfen überdenken. Es bleibt folglich nicht aus, dass man sich am Ende dieses Buches selbst ein bisschen verändert hat und die eine oder andere Schnecke vom Fußweg wegsetzt.

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