Musella Stiftung

Rettung einer Krähe

Ende Mai 2022 wurde bei uns eine kleine Rabenkrähe abgegeben. Der Vogel war schon befiedert, hatte einen Ansatz von Schwanzfedern und somit so zwischen Nestling und Ästling einzuordnen. Er war von der herbeigerufenen Feuerwehr auf einem Spielplatz aufgegriffen worden, wo neugierige Kinder versuchten mit dem hilflosen und vor allem bewegungsunfähigen Vogel zu spielen.

Wir gönnten dem Neuankömmling zunächst Ruhe, um anzukommen. So stellten wir seine Transportbox in eine Voliere öffneten sie und warteten ab, was passieren würde. Es passierte allerdings gar nichts, der Vogel bewegt sich über viele Stunden nicht von der Stelle. Eine Untersuchung beim Tierarzt und eine Röntgenaufnahme ergaben keine Hinweise auf Verletzungen oder Parasitenbefall, gleichwohl fand auch der Tierarzt sein Verhalten auffällig. Der Vogel schien sehr verängstigt und lehnte auch über nahezu zwei Tage Futter ab. An der Zwangsfütterung führte daher zunächst kein Weg vorbei. Er bekam ein möglichst vielseitiges Futter gemischt mit Calcium und Vitamin D. Langsam wurde es besser, er begann zu sperren und hatte offensichtlich richtig Kohldampf. Alle zwei bis drei Stunden musste Futter her, wobei er bald zeigte, was er mochte und was nicht. Leckerbissen bei ihm wie den meisten Krähen sind Blaubeeren, da verdrehen sie mitunter ihre Augen vor Glück.

Unsere junge Krähe bekam zusätzlich Fleisch in verschiedenen Formen, Erdbeeren und anderes Obst, Grit und reichlich Vitamine. Nahezu eine Woche wollte er nachts immer noch in seiner Transportbox schlafen, die ihm offensichtlich Sicherheit vermittelte. Aus stahlblauen Augen schaute er uns morgens an und begrüßte uns auch mit den typischen Kontaktlauten. Überhaupt schien er sich uns schnell anzuschließen, er „redete“ mit uns und hielt sein Köpfchen zum kraulen hin.

Nach ca. einer Woche machte er in seiner Entwicklung plötzlich Riesensprünge. Er saß nun stabil auf einem Ast und nicht mehr im Heu, begann bald die oberen Äste in der Voliere anzupeilen und zeigte uns mit all seinen Regungen, dass er begann eine richtige Krähe zu werden. Rabenvögel sind sehr intelligente Tiere, die sehr schnell sehr zahm werden können. Genau darin liegt aber auch das Problem. Wir wollten den Vogel nicht zu sehr an uns binden, da diese Fehlprägung ihm ein normales Leben in der Freiheit sehr erschweren würde. Würden wir ihn behalten und zähmen, würden wir ihn vielerlei Gefahren aussetzen, die durch sein der Freiheit nicht angepasstes Verhalten entstehen würden. Er würde sich auch schwer tun, andere Artgenossen zu akzeptieren, da er lieber mit seinen Menschen zusammen sein wollte. Dieses Leben wollten wir unserer Krähe ersparen. Sie sollte stolz und frei mit ihren Artgenossen die Welt erobern. So kam der Tag des Abschieds und wir brachten die Krähe schweren Herzens in eine Auffangstation mit anderen jungen Rabenkrähen in gleichem Alter. Er kam in einen Käfig mit vier anderen Krähen – Teenies, mit denen er jetzt eine neue Gruppe bilden sollte. Kontakte zu Menschen gibt es hier, vom Füttern abgesehen, kaum. Nach ca. weiteren vier Wochen werden die voll flugfähigen Jungvögel dann in Einzelboxen verpackt und alle gleichzeitig morgens an einem stillen Ort, oftmals an einem Waldrand, freigelassen. Ziel ist es dabei, dass diese Jugendgruppe zunächst beieinander bleibt und sich somit auch Halt geben kann.

Das Frühjahr mit den vielen Jungvögeln zum Aufziehen ist immer wieder etwas Besonderes. Wir alle wünschen uns natürlich, die Pfleglinge, die uns auf Zeit anvertraut sind, möglichst fit zu machen für die Freiheit. Dies ist doch der Sinn dieser Arbeit auch wenn jeder Abschied dann auch wieder ein klein wenig schmerzt. Umso grösser ist aber auch die Freude, wenn aus kleinen hilflosen Federkugeln dann starke gesunde Jungvögel werden, die ein artgemäßes Leben führen können.

Dr. Angelika Musella

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